Ges-Dur bei den Hirten
Badische Zeitung, 09. Februar 2013
Johannes Adam
 

Neu auf CD: Die Pianistin Angelika Nebel spielt kaum bekannte Bach-Bearbeitungen.

Nur wer sich ändert, bleibt sich treu. Das gilt auch für unseren Umgang mit der Musik Johann Sebastian Bachs. "Bach Metamorphosis" heißt diese neue CD. Metamorphose meint Umgestaltung und Verwandlung. Genau das ist hier geschehen. Bach’sche Vorlagen – es handelt sich primär um Orgelwerke – wurden aufs Klavier übertragen. Und Angelika Nebel spürt diesen Übertragungen interpretatorisch nach. Die Düsseldorfer Professorin ist, man bemerkt es immer wieder, nicht nur eine geborene Klavierlyrikerin und feinsinnige Farbenkünstlerin, sie ist an den Tasten mittlerweile auch eine Expertin fürs weite Feld der Bach-Bearbeitungen. Nach ihrer ersten hervorragenden CD mit Transkriptionen (wir besprachen sie im Mai 2010) folgt jetzt die zweite.

Angelika Nebel spielt Bach tiefschürfend, sehr warm und mit viel Gefühl. Die berührendste Stelle dieser CD lässt sich präzis benennen: Bei "O Mensch, bewein dein Sünde groß" in Carl Tausigs Version ist es der Ces-Dur-Moment beim Wort "Kreuze". Wie behutsam, fast ehrfürchtig sich die Exegetin der entlegenen Sphäre nähert, sie dann erklingen lässt – das ist kaum zu beschreiben, das muss man gehört haben. Es geschieht bei jenem so bildhaften "Orgelbüchlein"-Choral, den 1915 auch der späte Max Reger für Streichorchester sowie für die Kombination Violine und Orgel bearbeitet hat. In Tausigs Klavierfassung ist aus dem funktionalen Choralvorspiel mit seiner kolorierten (= verzierten) Liedstimme eine ganz ruhige, innige Meditation über das Passionsgeschehen geworden. Eine weitere Besonderheit: Der Kanadier Clarence Lucas hat Bachs Zwölfachteltakt-Sinfonia aus der zweiten Kantate des Weihnachtsoratoriums transponiert – vom originalen G-Dur nicht etwa in die Pastoraltonart F-Dur, sondern, da denkt man an Schuberts arioses Impromptu aus op. 90, nach Ges-Dur. Den einfachen Hirten wird in Sachen Tonart eine Exklusivbehandlung zuteil. Aber zu fragen wäre, wem sie gilt: Sind es wirklich die menschlichen Herdenführer, oder ist es mehr die freudige himmlische Botschaft?

Gewichtiger, als man dieses Werk von der Orgel gewohnt ist, klingen hier Präludium und Fuge A-Dur BWV 536. Das mag nicht zuletzt daran liegen, dass der Arrangeur Walter Braunfels dem sonst eher lieblichen Präludium mit einer Maestoso-Vorgabe begegnet. Sehr ansprechend, wie Angelika Nebel Transparenz in ein polyphones Geflecht zu bringen vermag: etwa bei der Quintenfuge in g-Moll BWV 578 oder bei der aus unseren Tagen stammenden Lesart des sechsstimmigen Ricercars aus dem Musikalischen Opfer.

Die Pianistin führt den Hörer hin zu Bach und zeigt, was der Konzertflügel für den Barockgroßmeister zu leisten imstande ist. Der Flügel kann das Orgelpedal ersetzen: wenn es in der Organo-pleno-Fassung des Leipziger Adventschorals "Nun komm, der Heiden Heiland" BWV 661 die Liedmelodie phonstark im Bass darzustellen gilt. Ein sehr schönes Programm, das sich am Lauf des Kirchenjahres orientiert. Bearbeitungen, die fast niemand kennt. Somit eine CD-Neuerscheinung mit beträchtlichem Repertoirewert. Das Verfahren ist legitimiert. Denn: Das Bearbeiten gehört per se zur Musik. Bach selber hat sich einschlägig betätigt: bei Werken anderer Komponisten und gern auch bei seinen eigenen. – Bach Metamorphosis. Angelika Nebel (Klavier). Hänssler Classic CD 98.004.

Quelle: Badische Zeitung